Reine Unvernunft kann manchmal siegen

6. Etappe: Zadar-Split, 168 km, 1290 Höhenmeter

So, heute also die Königsetappe oder Looser-Loop. Im Idealfall 142 Kilometer auf der Hauptstrecke nach Split mit einer knackigen Bergetappe im Schlussdrittel. Im Schwäche(an-) fall auf dem Eurovélo nach Sibenik und dann im Bus über die Höhe. Die örtlichen Transportunternehmen haben mir schon vorab entsprechende Angebote unterbreitet, falls es Platz hat – aber wahrscheinlich scheitert diese Lösung eher am eigenen Ehrgeiz. Ich beschließe der großen Herausforderung am frühen Morgen erstmal mit dem gebotenen Unernst zu begegnen. Statt hektisch aufs Rad zu steigen wird erstmal in Ruhe fertig getextet und dann beschlossen die Route zu verlängern. Als könnte man der Herausforderung die Schwere nehmen, indem man noch eine Schleife drauf packt; ganz so als käme es auf ein paar Kilometer mehr oder weniger gar nicht an. Also folge ich dem Eurovélo, der parallel zur Küste über die vorgelagerten verlockenden Inseln Ugljan und Pasman führt. Schon gestern faszinierte mich ihr Panorama am Horizont – so geschwungen wie eine Schreibschriftübung – macht aber mindestens 20 km mehr plus zwei Fähren Was soll’s, heute regiert die Unvernunft und die überlange Etappe wird sich sowieso rächen. Dann lieber in Schönheit sterben, statt auf der Hauptstraße. Die Fährbetriebe geben alles um mich von meinem Harakiri abzuhalten. Fahrradtickets gäbe es nicht am Kassen-häuschen sondern in Building 8 und zeigt auf einen riesigen Block, den ich mich schon erfolglos durchforsten sehe. Sind aber nur noch 8 Minuten. Dann lieber online buchen, worin ich jetzt schon eine gewisse Routine zu haben…glaube. Doch für die Verbindung wird kein Vehicle abgefragt geschweige denn eins mit zwei Rädern. Vielleicht bin ich in die Personenfähre gerutscht die von Zadar City ablegt. Noch vier Minuten. Nochmal . Nix. Nochmal. Kein Fahrradticket nirgends. Noch zwei Minuten. Ich frage die Entwerter, die schicken mich zum Kassenhäuschen, die würde jetzt zwar plötzlich doch verkaufen. Hat aber kein Kleingeld. Es geht wie ich inzwischen weiß um ein Fahrradticket von einem Euro. Noch eine Minute, dann kommt es zu einer Wechselgeldtransaktion zwischen den beiden Häuschen und ich rolle über die sich schließende Bordwand aufs Schiff. Manchmal muss das Unglück eben erzwungen werden.

Ich bereue es keine Sekunde auf den Ufersträsschen über die beiden durch eine Brücke verbundenen Inseln zu gleiten – bis ich in Thon die 11:30 Fähre runter von der Insel um gut 5 Minuten verpasse. Gut, ich hatte auch erst vor 45 Minuten erfahren wann sie ablegt. Weil ich vor lauter Insel-Hopping -Euphorie ganz verdrängt hatte, dass wer hopp sagt, auch hopp-off sagen muss. Ich hatte schlicht nicht nachgeschaut, wann genau das möglich ist. Gut, wäre eh schwer zu schaffen gewesen, übe ich mich in aufgesetztem Hyperpragmatismus, ziehe ich halt das Mittagessen vor. Das hier aber gar nicht angeboten wird. Also vortexten und um 13:20 ablegen – ich habe noch rund 120 Kilometer vor mir. Der Wind schiebt mich Richtung Sibenik und weil ich ja sowieso viel zu spät dran bin, gebe ich der Unvernunft weiter Raum und verlasse die Hauptstraße, um erneut den Eurovélo in Küstennähe zu folgen.

Erneut werde ich mit ruhigen Strässchen und fantastischen Ausblicken entschädigt. Bis mich eine Fastfood-Bude in die kulinarische Realität zurückholt. Nie mehr Cevapcici in Kroatien – schon gar nicht zehn! Diese Gummizylinder sind tatsächlich maximal Treibstoff, tröste ich mich. Zwischenzeitlich hatte ich befürchtet mit dem Frass auch meine provisorische Zahnprothese verschluckt zu haben. Geschmacklich wär’s kein großer Unterschied gewesen. Um 16:30 dann endlich Sibenik.

Noch gäbe es ja die Option Bus und die Route führt mich deshalb am ZOB vorbei. Der wurde wohl mit dem erklärten Ziel angelegt, die Aufenthaltsqualität zu minimieren. Aufgeben ist heute bei strahlendem Wetter und Rückenwind keine Option. Also gehts auf Route 6a-d über die Berge gen Split. So ganz genau kanns dir mein Garmin nicht sagen. Es ist nämlich wie zu slten Zeiten des Betriebssystems MS-DOS nicht in der Lage, einen vollständigen Routen-Titel anzuzeigen. so habe ich viele Routen für den Tag sechs in der Übersicht. Nur ob es A,B, C oder D ist, kann man auch dann nicht erkennen, wenn man sie aufruft. Man muss sie an ihren Kilometern identifizieren – kurz und schlecht ich weiß, auf welcher Route Variante ich letztlich navigiert wurde? Am Ende befand ich mich auf einer, die ich noch gar nicht eingegeben hatte – auf der Hauptstraße. Am Samstagsabend kein allzu großes Problem vorbei an Gastroruinen und verlassenen Häusern, deren letzter Bestimmngszweck ist als Werbefläche für Hajduk-Grafitti zu dienen. Die Beine sind noch frisch als es hinaufgeht, aber der Schweiß brennt mir in den Augen. Moment, dass soll doch die Radkappe mit dem großspurigen Namen „Directeur sportif“ verhindern – gerade in Museum der Flandernrundfahrt in Oudenaarde erstanden. Warum tut sie das nicht? Nun, weil sie nicht da ist. Sie muss frisch gewaschen in einem Konsum zwischen hier und Zadar liegen. Weil man – das gebietet die Höflichkeit in Lokalen und Laden-geschäften – den Helm abnehmen sollte. Und ja die Kappe auch, alles andere wäre ein fauler Kompromiss. Auch wenn diese Respekts-bekundung für Reisende am Rande ihrer mentalen Möglichkeiten ein schwer beherrschbares Risiko birgt. Vielleicht haben aber auch höhere Mächte beschlossen, mir den Titel Sportdirektor mit sofortiger Wirkung zu entziehen – wegen chaotischer Streckenführung. Naja ich habe ja demnächst Geburtstag…Noch da zum Glück – die Winterjacke, die ich zunächst fahrlässiger Weise daheim lassen wollte – Danke Bernd.

Die Beine sind frisch und oben am Kamm steht ein einsames Gasthaus mit Festgesellschaft, wo mir der Kellner außer der Reihe eine handgemachte Limonade serviert. Dann geht’s in wilder Fahrt hinunter an die Bucht von Split, die ich zum Einbruch der Dunkelheit erreiche. Fast da, denke ich jubilierend jetzt nur noch kurz über die beleuchtete Schnellstraße in die Stadt.

Ok, es sind tatsächlich flache, aber zähe 25 Kilometer Schnellstrasse. Ich komme mir vor wie ein Fußgänger auf der Autobahn. Was macht denn Komoot da wieder. Ach, es empfiehlt die ruhige Parallelstrasse. Wäre ja schön, wenn einem das auch mal einer sagen würde, aber das Garmin hat wegen Überlastung und zwischenmenschlicher beziehungsweise zwischenmaschinlicher Probleme die Zusammenarbeit mit mir eingestellt. Und auch meine linken Zehen haben sich verabschiedet. Schmerzhaft taub. Irgendwo am Güterbahnhof versuche ich sie ins Leben zurück zu massieren. Je näher ich Split komme, umso dunkler wird es: Hafen, Gleise und Industriegebiete. Vor einer Lagerhallen dreht eine offenbar verwirrte Frau in einem roten Kleid ihre Runden. Sie hegt wahrscheinlich ähnliche Gedanken über mich.

Es ist 21:30 als ich das Velo endlich an das prächtige Hotelportal lehne. Eine gute Idee, hier und jetzt die gesammelten Accorpunkte auszugeben.

Um diese Zeit gibt’s zwar nur noch Falafel und Eis auf die Hand, aber eben im geplanten Zielort. Split. Manchmal kommt man eben auch mit purer Unvernunft an.

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