10. Etappe: Dubrovnik – Budva (Montenegro), 107 Kilometer, 1501 Höhenmeter
Manchmal könnte man den Eindruck bekommen, man unternimmt so eine Tour nur, um Anekdoten fürs Diario zu sammeln. Dabei habe ich heute für sowas wirklich keine Zeit. Wie ich generell feststellen muss: Ich habe an vieles gedacht – nur nicht daran Zeit mitzubringen. Die für die Zeilen gehen vom Schlaf ab oder von der Startzeit. Und ich möchte heute einfach nur eine ganz normale Etappe fahren. Mal ohne Stress beizeiten ankommen. Und es sieht zunächst richtig gut aus, nachgerade professionell. Ich lasse mir ein Tütchen mit Socken und Unterhose an der Rezeption aushändigen, die ich über Nacht zum Trocknen gegeben habe. Nur die Baumwollsachen. Um die empfindliche Radtrikotage kümmere ich mich lieber selbst. Sie mit der Handtuchtechnik von Feuchtigkeit zu befreien, gelingt mit extra Towels inzwischen perfekt. Nach dem gepflegten Frühstück, hole ich gepflegt mein Fahrrad aus der Garage und verzichte in Rücksicht auf die gepflegte Vorfahrt darauf, hier die Kette zu ölen. Fast könnte ich den Eindruck bekommen, eine gepflegte Radreise zu unternehmen. Doch der Zahn wird mir gezogen: Oh nein, die Prothese fehlt: Klar dass diese Erkenntnis sich Bahn bricht, nachdem ich die ersten hundert Höhenmeter durchs vollgestopfte Dubrovnik gekeucht bin. War mir da nicht bereits das Gepäck einen Deut leichter vorgekommen? Aber jetzt ernsthaft wieder zurück? Nur wegen der dentalen Optik? Na gut, ich habe immerhin Geburtstag. Aber nachschicken. „Could you please send me my tooth back to Stuttgart, he should be in my room and looks like ..“. Was wenn er schon im Hotelmüll gelandet ist? Der Servicewagen stand schon bedrohlich wartend an der Tür, als ich aufgebrochen war. Schon in Gent musste ich den Abfall durchwühlen, weil sie ein ahnungsloser Mitreisender das Plastikgekröse weggeworfen hatte. Das wird mir keiner abnehmen. Also zurück, d.h in erster Linie hinunter – wegen Einbahnverkehr auf den handtuchbreiten Gehwegen – voller Touristen. „Sorry, sorry, I am so sorry.“ Ein absurdes Wettrennen gegen den Zimmerservice. Bin ich wirklich schon so weit runtergefahren? Ja, bin ich. Die Rezeptionistin händigt mir die Zimmerkarte aus, da hatte ich noch – „forgotten something“ gemurmelt, oben stürze ich durch die offene Türe mit der ganzen Wahrheit auf den Lippen: „Sorry for disturbing – I am looking for my tooth“ Aus dem Bad blickt mich eine perplexe junge Frau an. Vom Nachttisch grüßt meine Prothese. So geht cringe. Also mit geschlossenen Zahnreihe den Berg wieder hoch und zur Schokoladenseite von Dubrovnik runter.
Eigentlich wollte ich als Rache für den Beinahe Crash die Perle der Adria ungesehen rechts liegen lassen – was mir dann aber doch etwas kleinlich erscheint. Immerhin revanchiere ich mich für das Verkehrsfoul, indem ich illegaler Weise die nächstgelegene Zufahrt zur Altstadt nutze „For Residents für only“.
Mit dem Fahrrad ist die Altstadt aber sowieso nicht zu besichtigen: in Nord-Süd Richtung gibt’s keine Gassen, nur steile Treppen…
Die münden wie Gebirgsbäche unten schon im April in einen breiten Touristenstrom münden.
Ja ich geb’s zu. Mit zusammengebissenen echten und falschen Zähnen. Schon besonders. Eine große Karte zeigt die im Krieg 1991 zerstörten Gebäude.
Monatelang war Dubrovnik von der jugoslawischen Armee belagert und beschossen worden. Militärische Ziele gab es dort nicht, es wurden ausschließlich zivile Gebäude angegriffen. Nur zwei, drei Kilometer breit ist Kroatien an dieser Stelle, die Verbindung über Land war abgeschnitten. Die Stadt musste auf dem Seeweg versorgt werden. Doch den Angreifern gelang es nicht, die Stellungen oberhalb von Dubrovnik einzunehmen. Heute schiessen die Serben an denen ich vorbeiradle Fotos, als ich die 350 Höhenmeter stadtauswärts klettere –
immer die berühmte Dubrovnik-Postkarte im Rücken. Und auch dahinter geht Kroatien noch weiter.
Die Provinz Konvale spendiert dem Biker eine flache Nebenstraße in einem wunderbaren Tal voller Wein und Olivenbäumen. Da treffe ich ein Paar aus Milano. Mit dem Zelt nach Georgien. Und mit 3 Liter Wasser Sorgen sich wie ich mit 1,5 Liter auskomme. Ich geh zum überleben einkaufen. Wieder auf der Küstenstraße fährt tatsächlich ein PKW längere Zeit hinter mir! Der freundliche Kroate entpuppt sich als Bus aus Tü. Gemeinsam schlängeln ich mich mit den Schweizern an den LKWs vorbei, die sich an der Grenze zu Montenegro stauen. Ordnen uns aber doch sicherheitshalber hinter der bosnischen Motorradgruppe aus Mostar ein. Ich habe mich gar nicht mit der lokalen Währung eingedeckt, denke ich fälschlicherweise, als ich nach Herzeg Novi hinunter rolle. Statt meinem Gefühl folge ich dem Garmin und dem Eurovélo der nicht gemütlich auf der Promenade, sondern wiedermal auf die vollgestopfte Hauptverkehrsachse führt. „Can I Pay in Euro?“. Kein Problem, es gibt im Supermarkt sogar Euro als Wechselgeld.
Die Fähre über die Engstelle der Kotor Bucht ist gratis – egal in welcher Währung. Als mich der Kellner in der Kneipe am Anleger nach meiner Euro- Frage anschaut wie Falschgeld, muss ich doch mal googeln. Montenegro ist zwar nicht in der Eurozone, benutzt aber von Beginn an einfach eigenmächtig den Euro, wie schon zuvor die DM. Die vielen Überweisungen der Arbeitsmigrant*innen machens möglich. Die EZB lässt sie zähneknirschend gewähren. Hätte vielleicht vor zehn Jahren jemand den Griechen sagen sollen. Montenegros zweiter Name ist Paradoxistan. Gemeinsam mit den Serben griff man 1991 mit der jugoslawischen Armee, die nach Unabhängigkeit strebenden Kroaten an, um sich schon kurz darauf selbst aus dem Staatenbund zu lösen. Das Land ist Mitglied der NATO und doch gibt es starke Kräfte in Politik und Bevölkerung, die sich nach Russland orientieren. Budva galt bis zum Krieg als Moskau an der Adria, eine Lieblingsdestination der Oligarchen und russischer Touristen. Gleichzeitig nahm kein Land auf dem Balkan im Verhältnis zur Bevölkerung mehr ukrainische Geflüchtete auf, als die 600000 Montenegriener. Und
einerseits fährt man über Kilometer am Süden der Bucht von Kotor durch ein ( Fahrrad-) Paradies und muss dann um von dort nach Budva zu kommen als Biker doch alternativlos durch die LKW – Hölle. Die vermeintliche Nebenstrecke kurz vor dem Ziel führt auf ein Privatgrundstück, wo junge Männer an Autos schrauben und ich von einer Horde bellender Hunde umringt werde. Keiner pfeift die Köter zurück, ich muss die Flucht zurück antreten auf die Hauptstrasse durch den unbeleuchteten Tunnel nach Budva. Wieder mal ein Horrortrip. Ja nein Fahrrad fahre hier keiner meint der Hotelmanager, das kleinste Gefährt auf dass er sich setze sei ein Jetski. Der Abend endet im Restaurant des Hotel Moskau viel zu spät. Ok, Budva wird nicht meine Stadt.
Danke , lieber Dietrich, dass ich meine Arbeitstage gerade immer mit herzlichem Lachen beginnen kann! Obwohl ich mir vorstellen kann, dass es für dich oft nicht wirklich witzig ist. Außerdem erblasse ich vor Ehrfurcht. Ich glaub ich würde nicht mal einen Tag 100km plus 1000+ Höhenmeter schaffen- let alone mehrere Tage hintereinander😅
Hey Dietrich,
nur, falls noch sich noch niemand gemeldet hat, ich würde dann schon mal die Rechte an deiner Story kaufen. Selten wurden gleich mehrere Genres (action, comedy, slapstick, drama, documentary…) so wuchtig auf einmal bedient.
Hut ab, besser gesagt Zähne rein!