Optimist oder Dem Tod von der Brücke springen

9. Etappe: Igrane – Dubrovnik, 147 km, 1605 Höhenmeter

Eine außerplanmäßige Etappenverkürzung wird – oh Wunder der Logik – mit einer Verlängerung an anderer Stelle erkauft. Sonst wäre ja so eine Tour de Tirana keine Kunst. Entweder alle Etappenorte rutschen nun nach vorne, was eine Umbuchungslawine nach sich zieht. Oder man fährt den Rückstand am nächsten Tag wieder zu. So schwäbisch sind wir dann schon.

Also kein Verweilen auf der Terrasse der kleinen Apartmentanlage mit Buchtblick, kein Plausch mit den Vermietern, kein Frühstück vor Fahrtbeginn, sondern Aufbruch nach Text. Beim nächsten Mal bitte 30 km von der Tagesplanung runternehmen, Monsieur le Directeur Sportif. Ich rede mehr mit meinem Garmin als mit der Bevölkerung, denke ich als ich durchs Dorf zur Nationalstraße zurück klettere. Da ruft mir ein Einheimischer zu: „Langsam!“ – Danke bzw Moment! Woher weiß der gute Mann, dass das meine Sprache ist? Fahre ich etwa typisch deutsch? Wer Bike packt muss sich offensichtlich nicht mehr ausweisen. Die Uhr sagt 9:20 als ich oben losrolle. Das sollte ja wohl reichen für die unvorhergesehenen 140 Kilometer. Wenn man auf Sperenzchen verzichtet. Liegt aber halt nicht in deiner Macht. So gar nicht. Zum Beispiel, wenn das rechte Knie zwickt. Bei mir meist ein Zeichen für eine falsche Sitzposition. Und ich musste meinen Sattel aus der schmerzfreien Ideal/ Stellung vor der Abreise nach vorne schieben- um den Bike-Packing-Stabilisator anbringen zu können.

Keine gute Idee, das vor dem Café am Fähranleger in Drvenik korrigieren zu wollen. Unter den Blicken der Frühstücksgäste. Tasche runter, am Sattel rumfummeln und festzustellen, was schon in Stuttgart bemerkt wurde: Weiter nach vorne geht nicht, sonst kriege ich die Taschenhalterung nicht unter den Sattel. Ich erspare mir weitere Detailerläuterung und sogar einen Kaffee – hier schon zu viel Zeit verloren. Und immer abwechselnd ist der linke Fuß taub oder das Knie schmerzt. Macht doch mal was zusammen: zum Beispiel das rechte Knie betäuben. Und irgendwann waren sie tatsächlich weg, die Schmerzen. Dafür weht mir zum ersten Mal der Wind schwer ins Gesicht.

Weiter immer weiter auf der Küstenstraße mit phänomenalen Ausblicken auf die Inselgebirge von Hvar und Korcula. Mittlerweile meldet sich auch ein auffälliges Geräusch beim Treten. Trotz geölter Kette. Im nächsten Supermarkt beim Frühstück screene ich endlich mal wieder ein Tutorial. „Ursachenforschung Quietschen“ und google pessimistisch gleich mal den nächsten Radladen. Kommt erst in Dubrovnik. Am Ende fette ich ungläubig meine Clickpedale – und siehe da. Es klickt nur noch, bzw knackt. Nach drei Stunden erreiche ich endlich Ploce, wo ich laut Plan schon gestern Station machen wollte. Ok und diese Strecke wollte ich gestern Nacht also noch fahren – Die Vorstellung lässt mich schaudern und schmunzeln zugleich. Eigentlich wollte ich dem Eurovélo folgen und hier auf die Fähre zur Halbinsel Peljesac; den Zipfel Bosnien umfahren, der vor mir liegt. Aber ich habe ja Verspätung, also bleibe ich heute strikt auf der Route, die mich am schnellsten ans Ziel bringt. Oder ins Krankenhaus. Die Abstandskultur auf der Nationalstraße ist gruselig. Ich muss noch auf ihr über den Neretva, den größten Fluss der Herzegowina, der auch unter der berühmten Brücke von Mostar hindurchfliesst.

Und als wäre die Landschaft ihrer eigenen ewigen Steil- und Kargheit plötzlich überdrüssig, breitet sich nun eine riesige grüne Ebene aus, voller Obstplantagen und quakenden Fröschen.

Das Feuchtgebiet im Delta steht wegen seltener Vogel- und Fischarten zum Teil unter Naturschutz, ich fahre aber auch an einem Beachclub vorbei – mit dem wohl einzigen tatsächlichen Sandstrand Kroatiens. Alle anderen sind Touristennepp aus Kiesel.

Erlöst vom Verkehr kurve ich allein viele Kilometer durch die Ebene bis mich am Ende die verfluchte Schnellstraße wieder hat, um mich aus der Ebene zu bringen Die LKW donnern besonders eng an mir vorbei. Vielleicht wissen die ja alle dass ich Deutscher bin…Aus einer Bude am Schnellstrassenrand mit lokalen Produkten ruft mir ein Händler zu: „Optimist“ – noch nie hatte dieses Wort für mich einen bedrohlicheren Klang. Meint der etwa ich versuche ohne Reisepass durch Bosnien zu kommen? Oder, dass nur hoffnungslose Optimisten meinen hier als Fahrradfahrer zu überleben?

Dann nimmt endlich die beeindruckende Peljasac-Brücke den Verkehr mit auf die gleichnamige Halbinsel. Eines der größten EU Bauprojekte ermöglicht es nun den bosnischen Korridor zu umfahren und Dubrovnik zu erreichen, ohne Kroatien verlassen zu müssen. Über 350 Mio gabs von der EU für dieses gigantische Bauwerk – alles wegen eines historischen Kuriosums: 1699 trat das nicht mehr existente Reich von Ragusa (Dubrovnik) 9km Küste ab, an das nicht mehr existente Osmanische Reich, um sich mit dieser Pufferzone gegen die nicht mehr existente Republik Venedig zu schützen. Was bis heute existiert ist dieser überwiegend von Kroaten bewohnte Neum-Korridor.

Der lästige Transit der durch den EU-Beitritt noch strenger geworden war, kann man sich nun sparen. Den riesigen Grenzübergangen fehlen jetzt die Grenzgänger.

Ich ordne mich ganz allein in die Fahrspur für Personenkraftwagen ein und zeige meinen Reisepass stolz der bosnischen Grenzhüterin.

In Neum nehme mein Mittagessen in einem etwas abgewohnten Lokal mit Tankstellen-Touch. Wieder ganz allein. Egal. Hauptsache direkt am Straßenrand. Hauptsache nicht noch einmal 50 Höhenmeter hinunter ans Meer und vor allem wieder hinauf. Die Nudeln sind gut und füllen vor allem den Tank. Weiter geht’s immer noch an der wunderschönen Bucht von Mali Ston entlang.

Hier zwischen der Halbinsel Peljasac und Küste ist das Wasser besonders sauber, die Farben und Inseln besonders berückend. Doch wo die endet endet auch mein Luxusleben als einsamer Radler auf dem jetzt überflüssigen Transithighway durch Bosnien. Die Schnellstraße ist zurück, aber viel ruhiger. Als hätten sie die Laster auf der Halbinsel gelassen. Dafür steigt die SUV-Dichte vor Dubrovnik.

Das kann man schon in 25 Kilometer Entfernung weiß leuchten sehen. Der Weg zieht sich jede und man kann sich kaum entscheiden: Genießt man die Küste, die einfach nicht aufhört grandios zu sein oder flucht man über immer noch ne Bucht die ausgefahren werden will. Fünf Kilometer vor Dubrovnik dann der Hinweis für alle die es bis hierhin immer noch nicht kapiert haben: Significant Landscape – ach so! Dann fährt man endlich auf die Franjo Tudjmann Brücke, die einem eine letzte Bucht von 12 Kinometern erspart.

Auf der wunderschönen Schrägseilbrücke wäre die Etappe dann beinahe doch noch vorzeitig zu Ende gegangen. Und ich gleich mit. Erst sucht wie so oft heute ein Tanklastzug bei voller Fahrt meine Nähe, dann ignoriert ein SUV meinen Linksabbieger-Arm, obwohl ich Blickkontakt aufnehme. Ich weiß nicht mehr wie wir aneinander vorbeigekommen sind, aber was ich weiß: Er hat sich mächtig aufgeregt über meine Existenz.

Radfahrer sind für viele Autofahrer hier Luft – da können sie noch so sehr mit den Armen wedeln. Nie mehr Nationalstraße – und wenn ich erst Montag in Tirana bin.

1 Gedanke zu „Optimist oder Dem Tod von der Brücke springen“

  1. Guten Morgen Dietrich,
    hatte gar nicht auf dem Schirm, dass Du bereits unterwegs bist und ja schon fast am Ziel! Weiterhin gute und möglichst pannenfreie Fahrt. Freue mich auf weitere spannende Reiseberichte und ein baldiges Wiedersehen bei Chili und Bier!

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