8. Etappe: Split- Igrane, 88 Kilometer, 1302 Höhenmeter
..aber die List der Unvernunft kann dir natürlich nicht immer zur Hand gehen. Die Gesetze von Raum und Zeit, Erschöpfung und Erholung lassen sich nunmal nicht jeden Tag zum Narren halten, auch nicht von Satirikern. Aber dass sie gleich heute so unerbittlich auf ihre Gültigkeit pochen, hat doch etwas sehr kleinkariert humorloses.: Ich werde um 8 Uhr von meinem Körper geweckt, der schreit nach Freizeitausgleich, schließlich habe gestern Großes geleistet. Dafür stünde ihm nun wenigstens Ausschlafen bis zehn Uhr zu. Ich fühle mich außerstande zu widersprechen. Die linken Zehen kommen selbst um diese Uhrzeit nicht aus den Federn. Immer noch taub. Bergsteigern müssen sich in solchen Fällen doch bisweilen schon Gliedmaßen amputieren, weil Durchblutungsstörungen zum Absterben von Gewebe führen können. Ich will nach Brille (in Cres) und Kappe (irgendwo) nicht auch noch Körperteile in Kroatien lassen. Am Ende wird noch Cevapcici draus …Der Internetarzt kann mich beruhigen: Bei Nervenschädigung darf der Zeh bleiben. Die Radfahrer*in entwickelt schlimmstenfalls ein Morton-Neurom , also Wucherungen der Plantarnervenäste beim Versuch den Nerv vor Kompression zu schützen. Ich versuche durch verstellen der Platten für die Clickpedale diesem Schicksal zu entgehen.
Danach gibt’s Dehnübungen: Ich versuche das Hotelfrühstück in die Länge zu ziehen. Noch ein Cappuccino und noch ein Rührei. Ich will einfach nur hier sitzen. Sagt der Körper und ich kann dem nur zustimmen. Vor zwölf ist es uns beiden heute unmöglich vom Hof zu rollen. Nach Zwölf aber sind 140 km doch ziemlich ambitioniert. (Kaum gibt’s keine Fähren und fährt man nicht mehr los. ) Ach doch auch 140? Ich habe mich mental ein bisschen zu sehr auf meine Königsetappe fokussiert und dabei verdrängt, dass die Tour am Folgetag praktisch genauso weitergeht. Mit dem Unterschied, dass man sein Alpe D‘ Huez dann bereits in den Beinen hat. Und prompt meldet sich dann doch auch das Getriebe mit Knieschmerzen rechts. Irgendwas ist beim Radfahren einfach immer. Irgendwo. Unten (Belag), oben (Wetter) vorn (Steigung) oder eben drauf (Maschine) . Ich beschließe die Etappe als Überführungsfahrt anzulegen. Stur auf der nicht wirklich angenehmen Küstenstraße – ganz ambitionslos auf Ankommen fahren. Das halte ich genau 30 Km aus,
dann zieht es mich in Omis doch wie geplant in den Parallel-Canyon, der einsamen Fahrspass hält und verspricht. Schliesslich konnte ich vorher ein Nudelgericht ergattern, wenn auch überschaubarer Größe. Wunderbar kühle Luft empfängt mich in der Schlucht.
Ich schraube mich wieder über zwei Pässe mit spektakulären Felsabgründen. Beine gut, Knie naja.
Dann geht’s mit spektakulärem Blick auf die Magaraska Riviera und die Inseln Brac und Hvar zurück ans Meer und auf die Hauptstraße. Bis ich mich von Komoot doch wieder auf den angeblich traumhaften Küstenradweg Eurovélo Acht locken lasse. Soviel zur ambitionsfreien Überführungsfahrt. Ich hätte es ahnen können.
Schon bisher hieß Eurovélo hier in Kroatien einfach nichts bzw alles von vierspuriger Stadtautobahn bis zum Fussweg mit Treppenstufen, so wie hier. Nach einem Kilometer Katschong Katschong beschließe ich sofort auf geradem Weg zurück auf die Hauptstraße. Dich einen geraden Weg gibt’s hier nicht: Ich lande mitten in einem eingezäunten Campingplatz, bis ich den Ausgang gefunden und endlich Magaraska erreicht habe, ist es 18:30. Ich brauche nicht nur einen Cappuccino, sondern muss auch dringend noch tanken. Das kleine Nudelgericht ist längst verfeuert und ich habe noch über 55 Kilometer vor mir.
Während alle um mich herum in den Lokalen am Meer die Abendsonne genießen, habe ich Tourstress; muss Tankfüllung, Körperzustand, Uhrzeit und Etappenziel auf einen Nenner bringen. Die Aussicht auf zwei bis drei Stunden Nachtfahrt macht auch den Schwaben generös: Ploce wird kostenpflichtig storniert, ein neues Quartier in Igran in 15 Kilometer Entfernung gebucht und Pizza gegessen. Der Körper zeigt sich sehr zufrieden mit der Entscheidung, wobei die Küstenstraße bei Nacht eigentlich sehr schön zu fahren ist. Aber irgendwie muss ich ja mal wieder in einen normalen Rhythmus kommen und ins Bett. Das ist es mir wert – unbezahlbar übrigens der Blick der Zimmerwirtin, wenn man weitere Handtücher nachordert – obwohl schon vier aufliegen. Welcher Exzess wird hier wohl gleich veranstaltet? Ein schwäbischer.
Der Empfang in Tirana wird grandios. Zumindest für die Körperteile, die dort ankommen