Trödeln nach Triest

3. Etappe: Udine-Triest. 86 Kilometer, 498 Höhenmeter

Das neudeutsche Wort Bike-Packing für eine Mehrtagesradtour ist durchaus wörtlich zu nehmen. Biken heißt tatsächlich zu einem nicht unwesentlichen Teil: Packing. Jeden Tag. Alles muss raus und wieder rein. Das dauert Vor allem, wenn man einen Tag lang auf dem Rad gebadet hat. In Udine tatsächlich weit über eine Stunde, bis alles am Ort in Taschen verstaut und die wieder am Rad montiert sind.

Womit wir bei der gelegentlich – Hallo Max – aufgeworfenen Frage wären, wie dieses ganze Unternehmen eigentlich einzuordnen ist: Warum tut man sich das an? Ich biete mal was an: Erstens wann hat der Berufstätige schon mal Gelegenheit sich jeden Tag leidenschaftlich um das zu kümmern, was im Alltag oft liegenbleibt: Die Wäsche. Sie von Hand zu waschen, zu wringen und mit Füßen zu treten (Handtuchtrocken-technik) Zweitens sehnen wir uns nicht alle danach vom komplexen Kopffüssler zur bloßen Antriebsmaschine zu regredieren? Wenn Essen nur mehr Zufuhr von Treibstoff -ist, muss man nicht mehr Schlemmen, man darf Tanken. Hauptsache, es verbrennt. Und drittens wie erholsam ist es, sich einem strikten Zeitregiment unterwerfen zu dürfen.

Was man sich alleine im wunderschönen Udine alles ansehen könnte, müsste. Oder man rollt eben einmal quer durch, sagt – „wunderschön“ – und darf dann weiter.

Schliesslich muss auch der Dottore de bicicletta noch einen Blick auf die Scheibenbremse werfen. Die singen immer bei Regen übersetzt mir sein Assistent. Alles in Ordnung.

Weiter bei herrlichem Wetter rechts die Tiefebene, in der besten Weißweine des Landes wachsen, links die anmutigen Hügel des Friaul – dahinter die schneebedeckten Triglav-Gipfel der slowenischen Alpen. Und mittendurch Corona.

Die Heimat von Torwartlegende Dino „Nationale“ Zoff – das Virus dagegen hat wohl lange einen Bogen um das Örtchen gemacht.

Die Reste der Pizza vom Vorabend wurden vom Fahrradkurier nach Sagrado am Isonzo geliefert und daselbst von ihm persönlich verspeist. Zur Vorbereitung auf die kroatischen Berge beschliesse ich eine Abkürzung zu klettern. Über das isontinische Karstgebirge führt die Route durch San Martino al carso. So was wie das Verdun Italiens. Stellungskrieg gabs im Ersten Weltkrieg nicht nur im Westen, sondern auch hier am Isonzo zwischen Italien im Westen und Österreich / Ungarn im Osten.

Zwischen 1915 und 1917 tobten hier 12 Schlachten, geschätzt eine Million starben im Krieg der Steine wie ihn ein österreichischer Offizier nannte „Es ist gar nicht weiter zu schildern, welche Verbrechen an der Menschheit hier vollbracht wurden! Menschen wurden nicht anders behandelt als ‚Steine‘. Steine und Menschen waren einfach zu dem vermischt, was man ‚Die Stellung‘ nannte. Hinter ein paar Steinen lagen Menschen, bewachten offenbar die Steine, und ließen sich mit diesen und von diesen erschlagen.“ Wer wissen will, wie hier mit kombiniertem Reiz– und Giftgaseinsatz oder Artilleriebeschuss das Töten perfektioniert wurde google „Buntschiessen“ oder „Durchbruchmüller“ . Ziel der verheerenden italienischen Angriffe die Hafenstadt Triest. Doch es gab über zwei praktisch keine Geländegewinne. Ich mache dagegen einigermaßen Strecke und mache noch Bekanntschaft mit einer geologischen Rarität:

Ein See mitten im Karst, der im Jahreslauf kommt und verschwindet. Der Lago Doberdo wird von unterirdischen Zuflüssen gespeist im Frühjahr läuft er so voll, dass die Bäume wie in einem surrealen Gemälde mitten im Wasser stehen. Kurz darauf kann ich den ersten Adriablick erhaschen. Es folgen elf spektakuläre Kilometer hinunter an den äußersten Zipfel Italiens.

Die Strada Costiera erst 1928 in den Fels gehauen war überhaupt die erste Strassenverbindung von Triest nach Venedig. Rechts das Meer, links der Hauptverkehr. Noch linker 300 Meter Karst Und ganz hinten unten: Triest. Und ganz ganz hinten, sehr weit oben ein undefinierbarer Bunker, von dem ich noch nicht weiß, dass ich ihn morgen passieren werde. Anstrengend sich bei dem Dauerpanorama zu konzentrieren. Heute weiß ich: Zurecht: Das US-Magazin Life kürte die Costeria zur schönsten Straße Europas. 100 Jahre später wer es noch schöner, wenn man die Abfahrt auf einem gesicherten Radweg genießen könnte zumal mir hier so viele Radsportler begegnen wie noch nie.

Unten an der Promenade angekommen, will man sofort anhalten und urlauben. Aber ich mache ja Bike Packing. Und die Unterkunft drängt zur Schlüsselübergabe. Davor schickt mich die Route durch eine weitere gespenstische Superlative.

Der alte Hafen, Porto Vechio: direkt hinter dem Bahnhof. Hier stehen auf fast 600 000 Quadratmeter einer Fläche fast doppelt so groß wie der Cannstatter Wasen 28 gigantische bis zu 230 Meter lange Lagerhallen – allesamt erbaut um die Jahrhundertwende. Allesamt bis auf eine verwaist und dem Verfall preisgegeben. Man könnte hier wohl die gesamte Techno und Kulturszene Europas hier unterbringen, aber was macht man mit den restlichen 25 Hallen? Es weiß so recht keiner, was anfangen mit diesem gigantischen gespenstischen Areal. ich auch nicht. Zumindest hat man es der Öffentlichkeit zugänglicher gemacht. Ich würdige den Komplex im vorbeifahren mit einem fundierten „einfach unglaublich“.

Ansonsten sieht Trieste tatsächlich so aus, als wäre Wien in der Mitte durchgeschnitten und ans Meer gestellt worden. Riesige Gründerzeitkästen, die abrupt an der Adria enden. Dazu passt ein weiteres kurioses Superlativ: Stadt mit dem größten Platz Europas, der direkt am Meer liegt. Ansonsten ist hier alles sehr eng, angeblich spielt man hier auf extra kleinen Fußballfeldern – nicht acht gegen acht, sondern sieben gegen sieben. Nur merkwürdiges Stadtmarketing Bernd Sautter wird die Sache sicher klären können.

Ich schlage nein Lager in einer Altbauwohnung, auf die Zimmer einzeln vermietet. Offenbar auch an Dauermieter*innen, Der einzige andere Tourist ist ein Schweizer, der E Biken mit Geocachen kombiniert.

Das Bad erfüllt alle Sehnsüchte eines Bikepackers. Längliches Waschbecken plus flache Heizkörper – ideale Voraussetzung für eine erfolgreichen Waschgang.

Nach dem Risotto im Ristorante mit sehr gemischten Publikum ist noch lange nicht Feierabend, Ich mache ja bekanntlich Bike-Blog-Packing. Ich versuche es zumindest. Keine Ahnung wie der Kollege das schafft. Ich komme jedenfalls nur bis zum Packing und werde dann im Traum führerlos Auto gefahren. Was für ein Omen für Istrien.

3 Gedanken zu „Trödeln nach Triest“

  1. Ja in Grado, Lignano, Triest,
    wird der Urlaub zum richtigen Fest
    oder so,
    da gabs mal eine Radiowerbung annodazumal 🙂
    Dietrich, sensationell schon jetzt dein Reisetagebuch!
    Wünsche eine weiterhin gute Reise und drücke die Daumen für gutes Reisewetter – ich freu mich jetzt schon auf den nächsten Eintrag!
    Tanti saluti
    Rita

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  2. Dietrich – Du Held der Langstrecke! Tirana habe ich vor zwei Jahren auch besucht, aber dieses Mal ohne einen Tropfen Schweiß zu verlieren. 1600 ccm haben mir dabei geholfen. Keep on rollin´❤

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